Der Wunder-Podcast - Folge 01 (Das kaputte Licht des Fahrrads, das leuchtet)

15.07.2024

Was wir uns rational nicht erklären können und positiv konnotieren, das nennen wir mitunter ein "Wunder". Wenn mir morgens ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, obgleich er eigentlich bombenfest im Dachgefüge montiert war - nun, dann ist das vielleicht auch ein Wunder, aber ich nenne es nicht so (aus mehreren Gründen). Ein Wunder bewirkt etwas, das wir als "gut" beschreiben. Auch wenn der Begriff des "Guten" wiederum dehnbar ist, je nach Kontext.

Wer die Bibel aufschlägt, der wird vom Heiligen und von Wundern geradezu überrollt. Und doch begegnen sie uns auch im Alltag, nicht nur wenn von Jesus und der "Speisung der Fünftausend" geschrieben wird. Sie begegnen uns öfter, als wir sie sehen - weil wir sie gar nicht erwarten. Und wir sehen bekanntlich nur das, für das wir auch offene Augen haben. 

Unsere Konzepte steuern das Wahrgenommene - und niemals umgekehrt. Wo wir für Wunder offen sind, da können sie in unser Leben kommen. 

Ich gebe Ihnen ein Beispiel.

Wir haben hier im Garten ein altes Fahrrad stehen, es ist das Rad meiner ältesten Tochter, die im Februar zwanzig Jahre alt wird. Sie hat es bekommen, als sie sechs oder sieben Jahre alt war. Es steht also schon sehr lange hier und die Batterien der Lichtanlage wurden nie getauscht. Sie sind so alt wie das Rad. Nun - vor einem Jahr, als es mir gesundheitlich nicht gut ging, ja, ich dem Tode näher war als dem Leben, leuchtete plötzlich ein Licht im Garten. Es war das Rücklicht dieses alten Fahrrads. Es begann plötzlich zu leuchten, mitunter sogar zu blinken. Nacht für Nacht. Es war und ist ein Wunder. Das Licht per se. Wenn man es so sehen will. Aber auch das Leuchten eines durchnässten Fahrradrücklichts, das jahrelang nicht geleuchtet hat, und das niemand berührt hat. 

Solche Wunder und Wundersames will ich zusammentragen. Weil sie mich faszinieren. Und weil sie meinen Geist sprengen, ihn anlaufen lassen, gegen eine imaginäre Wand. Damit sie mir auch abnehmen, was ich erzähle, und weil wir unseren Augen (die auch nicht in sich oder für sich die Außenwelt "deuten", sondern unsere Konzepte benötigen, damit wir "etwas" mit Sinn und Gehalt sehen können) mitunter mehr trauen als "nur" unseren Begriffen, zeige ich ihnen hier das leuchtende Nachtlicht, das plötzlich auftauchte (siehe Bild oberhalb). Und ebenso plötzlich wieder verschwand. 

Hier ein weiteres wundersames Ereignis, geschildert von einem russischen Pilger in seinen "Aufrichtigen Erzählungen" (Herder, 2020, S. 56 - 58).

"Hierauf tat ich einen Tag nichts anderes, als nur im unablässigen Gebet zu beharren, welches ich ohne die geringste Unterbrechung verrichtete; meine Gedanken beruhigten sich, und ich schlief ein; da träumte mir nun, ich sei in der Klause meines verstorbenen Starez, und er deutet mir die "Tugendliebe" und spricht also: "Dieses heilige Buch ist voll tiefer Weisheit. Es ist eine geheime Schatzkammer des Eindringens in die verborgenen Führungen Gottes. Nicht in allen Stücken und nicht jedermann ist es zugänglich; doch enthält es nach Maßgabe des Verständnisses für einen jeden Unterweisungen: für den einfachen Mann - einfache, für den Weisen - weise. Darum sollt ihr, die Einfältigen, es nicht in der Reihenfolge lesen, wie die Schriften der heiligen Väter angeordnet sind. Die Anordnung ist dort eine theologische; der nichtgelehrte Mensch aber, der das innere Gebet aus der "Tugendliebe" erlernen will, muß sie in dieser Reihenfolge lesen: 1. er lese zuvor das im zweiten Teil enthaltene Buch des Mönches Nikephoros, dann 2. das ganze Buch Gregors des Sinaiten mit Ausnahme der kurzen Kapitel, 3. Symeon, den Neuen Theologen, über die drei Arten des Gebets und seine Schrift über den Glauben, und hierauf 4. das Buch des Kallistos und Ignatios. In diesen Vätern ist eine vollständige, für jedermann verständliche Unterweisung und Lehre über das innere Herzensgebet enthalten. Wenn du aber eine noch leichter verständliche Unterweisung und Lehre über das Gebet haben willst, so schlage im vierten Teil auf, was der heiligste Patriach Kallistos von Konstantinopel in Kürze über die Art des Betens sagt." Als hielte ich gleichsam meine "Tugendliebe" in den Händen, begann ich die genannte Unterweisung zu suchen, konnte sie aber nicht so schnell finden, wie ich wollte. "Da ist die Stelle; ich will sie dir anstreichen." Er hob ein Stückchen Holzkohle auf, machte damit einen Strich am Rande der Seite bei dem aufgeschlagenen Kapitel. Alles, was der Starez gesagt, hatte ich aufmerksam angehört und bemühte mich, es mir möglichst fest und in allen Einzelheiten einzuprägen.

Ich erwachte, und da der Tag noch nicht angebrochen war, blieb ich liegen und wiederholte im Gedächtnis alles, was ich geträumt und was mir der Starez gesagt hatte. Dann überlegte ich: Gott weiß, ob mir die Seele des verstorbenen Starez erscheint, oder sollten es meine eigenen Gedanken sein, die so gestimmt sind, da ich ja viel und oft an die "Tugendliebe" und an den Starez denke? Hierüber war ich mir nicht im klaren und stand auf; es begann schon zu dämmern. Und was denn? Da sehe ich auf dem Stein, den ich anstelle eines Tisches in meiner Erdhütte hatte, die aufgeschlagene "Tugendliebe" liegen, und zwar gerade an der Stelle, die mir der Starez gewiesen hatte, und der Kohlestrich war auch da, genauso, wie mir dies geträumt hatte, ja sogar ein Stückchen Kohle lag noch neben dem Buch. Dies setzte mich in Erstaunen, denn ich erinnerte mich mit Bestimmtheit, daß das Buch am Abend nicht dagelegen hatte; vielmehr lag es geschlossen mir zu Häupten; und ebenso bestimmt weiß ich, daß dort früher an der angerichteten Stelle kein Merkzeichen war." 

Das ist eine sehr bemerkenswerte Schilderung eines luziden Traumes, der in die Realität zu kriechen scheint. Plötzlich ist etwas in einem Buch markiert. Wer hat es markiert, wenn nicht der Lesende und Träumende selbst? Es sind seine Schilderungen, es gibt aber keinen Grund, an diesen "aufrichtigen Erzählungen" zu zweifeln. Etwas ist hier nachts geschehen, das sich rational nicht erklären lässt. Es ist wundersam. Vielleicht nicht das größte Wunder, wie eine Wunderheilung oder das Gehen über Wasser, aber doch wundersam und wundervoll