Ein Kleinkind, das misshandelt wird, Rapid-Fans, eine Schaffnerin & ich

17.02.2022

Möchte von einer Szene erzählen, die sich heute auf der Rückfahrt von Linz nach Wien ereignet hat. Sämtliche Züge nach Wien auf der Westbahnstrecke hatten heute nachmittags enorme Verspätung - über eine Stunde oder länger. Ich saß bereits in einem Railjet nach Budapest (über Wien), als via Lautsprecher eine neuerliche Verspätung verkündet wurde. Am Gleis gegenüber sah ich zeitgleich eine "Westbahn" einfahren. Ich wechselte im Laufschritt die Züge, fand einen Platz mit einem kleinen Tischchen beim Klo. Der Zug übervoll mit Menschen. Westbahnzüge fahren gewöhnlich sehr zügig durch Bahnhöfe. In diesem Fall schaffte es aber noch eine Frau, die Tür zu öffnen. Sie wuchtete einen Koffer hinein, dann ein Kind - und dann kam ein Mann. Er wuchtete den Kinderwagen, der mit mehreren übervollen Säcken angeräumt war. Er war sichtlich in Rage - schmiß die Säcke in den Bereich vor dem Klo, leerte dort den gesamten Inhalt aus und begann zu brüllen und zu schimpfen. Es würden nun die teuren Tickets verfallen etc. ("Westbahn" ist privat geführt). Die Frau versuchte ihn zu beruhigen. Er solle sich einkriegen, er solle Luft holen. Auf der Rückseite seiner schwarzen Jacke stand "Jack Daniel's". Ich war froh, dass zwischen dem Kinderwagen und diesen Leuten einige Meter Gangbereich - Raum - war. 

Nun - der Westbahnzug setzte sich in Bewegung und das kleine Mädchen wollte sich auf dem Teppichboden seine Schuhe ausziehen. Plötzlich brüllte die Mutter das Kind an: "Nein, die Schuhe ziehst du nicht aus." Effekt? Das Mädchen begann jämmerlich zu weinen, brüllte schließlich wie von Sinnen. Es zog sich trotzdem einen Schuh aus. Dann hörte ich: "Aua, aua". Ich sah nichts, weil mir eine Zugkante den Blick versperrte. Wenig später brüllte die Mutter: "Du bekommst nichts zu essen. Gar nichts." Wieder begann das Mädchen jämmerlich zu weinen, dann ebenso zu brüllen. Ich konnte sehen, dass es sich wieder einen Schuh auszuziehen versuchte. Nun - dieses Drama zog sich gefühlt über eine halbe Stunde. Ich dachte still bei mir: "Ich mische mich hier im Sinne meiner Frontzähne besser nicht ein ..."

Bei der nächsten Haltestelle bestieg eine Rapid-Fan-Gemeinschaft den Zug - ca. zehn Burschen, alle mit Bierdosen bestückt. Sie bauten sich rund um mich auf. Sie beachteten mich nicht, und ich sie kaum. Ich mag den Geruch von Bier nicht. 

Ich beobachtete nun mit einem Aug das Paar mit dem kleinen, ca. zweijährigen Kind, mit dem anderen die Rapid-Fans. Dann kamen zwei Westbahn-Schaffnerinnen. Sie arbeiteten sich durch die Rapidler, als plötzlich das Mädchen den Gang entlang gelaufen kam - es versuchte wohl zu flüchten. Und im nächsten Moment der Mann mit der Whiskey-Jacke ihm nachgestürzt, es am Arm packend, in die Luft wirbelnd. Wir konnten es alle sehen. Ich sagte zu den beiden Schaffnerinnen: "Ich beobachte das schon die ganze Zeit, aber ich habe Sorge um meine Frontzähne, wenn ich mich hier einmische." 

Das hörten die Rapidler und einer von ihnen sagte: "Die brauchen Sie nicht haben, wir sind ja da."

Ich schaute die jungen Burschen an, dann eine der beiden Schaffnerinnen. Ich sagte zu den Jungs: "Na gut, wenn ich euch habe ... "

Wir setzten uns zu zweit in Bewegung, hinter uns ca. zehn Burschen in einer grün-weißen Formation. Was für ein Gefühl - im Rücken gestärkt durch Rapidler.

Ich stellte mich vor die Mutter und sagte: "Sie, ich möchte mich wirklich nicht einmischen - aber ich beobachte Sie schon eine Weile. Dieser Mann - ich zeigte auf den Mann im Hintergrund - hätte dem Kind gerade den Arm brechen können. Ich bin Psychologin. Es ist alles in Ordnung - das Kind kann ruhig zu uns laufen, es stört uns nicht."

Die Mutter erwiderte: "Mischen Sie sich hier nicht ein."

Die Rapidler im Chor: "Doch. Wir haben es auch gesehen."

Ich: "Vielleicht geht es auch anders?" Die Schaffnerin und ich, wir drehten uns um - mit uns unsere Burschenformation. Und wir schritten den Gang zusammen zurück.

Kurz darauf - ich beobachtete die drei wieder. Die Mutter küsste ihr Kind auf die Stirn. Sie gab ihm ein Keks. Sie sagte kein Wort mehr. Auch der Mann neben ihr sagte kein Wort. Aber das Kind, es kam zu mir hergelaufen und lachte - wie ich noch selten ein Kind lachen gesehen habe. 

Bei der nächsten Station - in St. Pölten - hat das Paar den Zug fluchtartig verlassen. Die Mutter das Kind am Arm - küssend