Aus dem Tibetischen Totenbuch - "Konsequenzen der Einführung ins Gewahrsein" & "Beobachtungen in Zusammenhang mit der Untersuchung der Natur des Geistes"

18.01.2022

"Wird die Einführung in Übereinstimmung mit der (oben erwähnten) Methode zum Eintreten in diese (Wirklichkeit) kraftvoll angewendet,

dann ist das eigene unmittelbare Bewusstsein ebendiese (Wirklichkeit).

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), die unausgedacht und von natürlichem Glanz ist,

wie könnte man da sagen, man verstehe die Natur des Geistes nicht?

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), in der es nichts gibt,

auf das man meditieren könnte,

wie könnte man da sagen, das Eintreten in die Meditation sei ohne Erfolg geblieben?

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), die das eigene unmittelbare Gewahrsein selbst ist,

wie könnte man da sagen, man könne den eigenen Geist nicht finden?

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), der ununterbrochenen (Einheit) von Glanz und Gewahrsein,

wie könnte man da sagen, das (wahre) Antlitz des Geistes nicht

gesehen zu haben?

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), die selbst der 

Erkennende ist,

wie könnte man da sagen, man habe diesen (Erkennenden) nicht

gefunden, obwohl man ihn gesucht habe?

(Wenn man) in dieser (Wirklichkeit verweilt), in der es nicht das Geringste zu tun gibt,

wie könnte man da sagen, man habe mit allem, was man getan hat,

keinen Erfolg gehabt?

Angesichts der Tatsache, dass es genügt, (dieses Gewahrsein) zu

lassen, wie es ist, nämlich ungekünstelt,

wie könnte man da sagen, es sei einem nicht möglich gewesen,

weiterhin (in diesem Zustand) zu verweilen?

Angesichts der Tatsache, dass es ausreicht, es zu lassen, wie es ist,

ohne auch nur irgendetwas zu tun,

wie könnte man da sagen, man habe das einfach nicht tun können?

Angesichts der Tatsache, dass (innerhalb dieser Wirklichkeit)

Glanz, Gewahrsein und Leere untrennbar und spontan

vorhanden sind,

wie könnte man da sagen, man habe durch die Praxis nichts

erreicht?

Angesichts der Tatsache, dass (diese Wirklichkeit) natürlich

entstehend und spontan vorhanden ist, ohne Ursachen und

Bedingungen,

wie könnte man da sagen, die Bemühungen (sie zu finden) seien

ohne Erfolg geblieben?

Angesichts der Tatsache, dass sich das Entstehen und die

Befreiung begrifflicher Gedanken gleichzeitig vollziehen,

wie könnte man da sagen, die Anwendung dieses Gegenmittels

(gegen das begriffliche Denken) sei nicht wirksam gewesen?

(Wenn man) in diesem unmittelbaren Bewusstsein selbst verweilt,

wie könnte man da sagen, man kenne diese (Wirklichkeit) nicht?"

(S. 101 - 102)


(...)

"Dieser natürlich entstehende Innere Glanz, der ungeschaffen ist

von Anbeginn,

ist das elternlose Kind des Gewahrseins - wie erstaunlich!

Er ist das natürlich entstehende Reine Erkennen, von niemandem

erzeugt - wie erstaunlich!

(Dieses strahlende Gewahrsein) wurde nie geboren und wird

niemals sterben - wie erstaunlich!

Auch wenn es offenkundig strahlend ist, ermangelt es eines

(äußeren) Wahrnehmenden - wie erstaunlich!

Obwohl es durch die ganze Zyklische Existenz gewandert ist,

entartet es doch nicht - wie erstaunlich!

Obwohl es die Buddhaschaft selbst gesehen hat, wird es doch nicht

besser - wie erstaunlich!

Obwohl es in jedermann vorhanden ist, bleibt es doch unerkannt -

wie erstaunlich!

Und dennoch hofft man etwas zu erlangen, das anders ist als dies - 

wie erstaunlich!

Obwohl es in einem selbst vorhanden ist, fährt man fort, es

anderswo zu suchen - wie erstaunlich!" (S. 105)